Nach einer ganz normalen Schwangerschaft ist es endlich soweit. Die Wehen setzen ein, das Kind kommt auf die Welt. Ein süßer kleiner Junge. Er bekommt den Namen Uwe. Alle sind glücklich.
Viel Schlaf braucht Uwe nicht, nur kurze Abschnitte am Tag und in der Nacht. Uwe schreit und schreit. Die Mutter nimmt ihn liebevoll auf den Arm – Uwe schreit noch mehr. Sie spricht mit ihrem Baby, sie singt ihm Lieder vor – Uwe schreit. Die Mutter ist ratlos.
Andere Kinder in diesem Alter trinken, schlafen und weinen auch mal, aber nicht die ganze Zeit. Die Mutter macht sich große Sorgen um ihr Kind. Sie überlegt pausenlos, was fehlt Uwe. Wenn ich mit ihm spreche, weint er weiter. Hört er mich nicht? Wenn ich ihn in den Arm nehme, weint er noch heftiger. Hat Uwe Schmerzen?
Sie spricht über ihre Probleme und Sorgen in der Mütterberatung. Uwes Gehör wird getestet, die Schwester stellt sich hinter Mutter und Kind, so dass Uwe sie nicht sehen kann und lässt ein Schlüsselbund fallen. Das Kind schaut zu ihr. Sie lächelt und beruhigt die Mutter, mit ihrem Kind ist alles in Ordnung.
Uwe wächst heran. Er sitzt, wo er sitzt und schaukelt ständig mit Kopf und Oberkörper. Er lernt auch nicht sprechen. Aber er ist ein sehr lautes Kind. Später wird festgestellt, Uwe ist taub.
Die junge Familie fährt in den Urlaub und dort gibt es „West-Fernsehen“, was es zu Hause nicht gibt. An einem Tag sitzt die Mutter vorm Fernseher und es läuft eine Gesundheitssendung. Es geht um Kinder und plötzlich sieht sie, es geht um Kinder wie Uwe. Schnell ruft sie Uwes Vater dazu. „Schau, die Kinder sind genau wie unser Uwe.“ In der Sendung geht es um Kinder mit Autismus.
Wieder zu Hause, geht sie mit Uwe zu ihrem Arzt und berichtet, was sie im Fernsehen gesehen hat. Von Autismus hatte der Arzt noch nie was gehört. Es beginnt ein langer Weg mit vielen Hürden. Die Mutter wünscht sich für ihr Kind:
Dafür kämpft sie Tag für Tag. Sie sucht Partner und findet Mitstreiter. Sie trifft auf Menschen, die Uwe nicht ablehnen und sich auf Uwe einlassen. Sie setzt durch, dass Uwe für‘s Leben lernen kann und einen Platz in einer geschützten Werkstatt bekommt.
Dann kommt 1989 die Wende. Ihr und vielen anderen Eltern mit Kindern mit Behinderung jagen jede Menge Fragen durch den Kopf. Was wird jetzt? Wie geht es weiter? Was wird mit unseren Kindern?
Sie organisiert einen Info-Abend im Speisesaal des Seniorenheimes und es kommen so viele. Sie kann es kaum fassen, ihr Herz schlägt bis zu Hals, alle können es durch‘s Mikrofon hören. Aus diesem Abend geht eine kleine Gruppe hervor. Sie beschließen, wir gründen einen Verein.
Der bereits in Freital gegründete Behindertenverband mit Herrn Roloff ist ihr immer einen Schritt voraus. Durch die gute Zusammenarbeit mit Herrn Roloff bekommt sie viele wichtige Tipps und am 5. November 1990 gründen über 40 Mitglieder in Freital den „Lebenshilfe Freital e.V.“. Sie arbeitet im Vorstand mit. Seine erste Station hat der junge Verein in den Büroräumen des DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) auf der Dresdner Straße in Freital.
Prägend für die Wende-Zeit waren viele Veränderungen. Alle hatten mit sich selber zu tun, doch ein fester Stamm von Vereinsmitgliedern arbeitete an Konzepten für die Zukunft.
Eine fester Anlaufpunkt wurde gebraucht, gefunden wurde ein Notbehelf in den Räumen des Behindertenverbandes auf der August-Bebel-Straße in Freital. Das Büro konnte ein Jahr mit einer ABM-Kraft, vermittelt vom Arbeitsamt in Freital, besetzt werden. Bereits ein Jahr später standen schon wieder Veränderung ins Haus. Das Büro wurde mit Frau Duschanek besetzt und der Verein zog in seine ersten eigenen zwei Räume auf die Brückenstraße in Freital ein. Dort gründete der Verein erste eigene Einrichtung: den Familienentlastender Dienst Freital, kurz FED genannt. Große Unterstützung erfuhr der Freitaler Lebenshilfe-Verein dabei von Frau Achilles von der Lebenshilfe in Pirna.
Der Bedarf in den Familien mit behinderten Kindern war groß und schnell wurden die Räume wieder zu klein. Nächster Halt: eine 3-Raum-Wohnung auf der Mühlenstraße. Jetzt konnte die Lebenshilfe in Freital ihre Angebote im Familienentlastenden Dienst erweitern und dadurch noch mehr Familien helfen.
Im Jahr 2007 sollte der letzte Umzug stattfinden. Es ging auf die Coschützer Straße 27 in Freital. Dort haben die Ambulanten Hilfen noch heute ihre Wirkungsstätte.
Aus dem schreienden Baby ist inzwischen ein Mann geworden.
Uwe hat mit viel Unterstützung gelernt und ist mit seinem Leben zufrieden. Er wohnt in einer Wohngemeinschaft und arbeitet in den „Wichern-Werkstätten“ in Freital. Am Wochenende besucht er gern seine Mutter.
Martina Seifert